Fachkenntnisse validieren


Auch ohne Ausbildung sollen fachliche Kenntnisse besser anerkannt werden können. Eine interessante Idee. Doch was bedetutet sie für die duale Ausbildung? Tischler Schreiner Deutschland bezieht zu Chancen und Gefahren Stellung.

Die duale Ausbildung ist nachweislich krisenbewährt und darf nicht gefährdet werden. © TSD/art-pix.com

Mit dem Berufsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz (BVaDiG) plant das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Einführung eines Validierungsverfahrens, bei dem die reine berufliche Praxis die Möglichkeit bieten soll, ein Zertifikat zu beantragen, das mit dem Abschluss einer regulären Berufsausbildung vergleichbar ist. Tischler Schreiner Deutschland hat erneut Stellung bezogen und sich aktuell zu der im Februar diskutierten Kabinettsfassung geäußert. In einem offiziellen Schreiben an Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) warnt der Spitzenverband des Tischler- und Schreinerhandwerks vor der augenscheinlichen Aufweichung des dualen Ausbildungssystems. "Der derzeitige Gesetzentwurf hätte zur Konsequenz, dass die duale Ausbildung nicht mehr die einzige reguläre Ausbildungsform darstellen würde", erklärt Arne Bretschneider, Abteilungsleiter Berufsbildung und Technik im Bundesinnungsverband des Tischler- und Schreinerhandwerks. "Wer", fragt der Bildungsexperte, "kann ein Interesse daran haben, dass ein bewährtes Ausbildungssystem, das nachweislich die Auswirkungen weltweiter Wirtschaftskrisen auf Deutschland stark reduziert hat, ausgehöhlt wird?"

"Der aktuelle Gesetzentwurf ermöglicht ein Parallelsystem zur dualen Ausbildung." Arne Bretschneider, Abteilungsleiter Berufsbildung und Technik,Tischler Schreiner Deutschland

Zentraler Kritikpunkt am aktuellen Gesetzestext, den Tischler Schreiner Deutschland auch schon in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf im Dezember deutlich gemacht hat, ist unter anderem die fehlende Altersgrenze. Dabei fordert nicht nur das Tischler- und Schreinerhandwerk ein Mindestalter für Antragsteller von 25 Jahren. Nach dem derzeitigen Wortlaut wäre es nämlich möglich, dass bereits junge Menschen nach dem Abschluss der 9. Klasse (Hauptschulabschluss) lieber dem Anreiz des Geldverdienens als ungelernte Erwerbstätige nachgeben könnten als eine Ausbildung zu beginnen, auch wenn der Gesetzentwurf für eine Aufnahme in das Validierungssystem mindestens den Nachweis der 1,5-fachen Ausbildungszeit vorsieht. Bleibt man bei diesem Beispiel, stünde damit – für den Fall einer dreijährigen Ausbildung – der Antrag im Rahmen des Validierungsverfahrens bereits im Alter von 19,5 Jahren offen. Bei Erfolg erhielten dann die Beteiligten ein staatliches Zertifikat, das dieselben Aufstiegsmöglichkeiten wie die Gesellenprüfung eröffnet, "aber nicht auf nachgewiesenen Ausbildungsinhalten und Prüfungen, sondern lediglich auf Arbeitszeugnissen beruhen würde", erklärt Bretschneider. "Entgegen des erklärten Willens des Gesetzgebers würde damit ein Parallelsystem zur dualen Ausbildung geschaffen werden." Das BMBF ist zwar der Auffassung, dass die Einführung einer Altersgrenze europarechtlich nicht zulässig sei, doch selbst der Bundesrat hat diese Einschätzung Anfang Februar nicht geteilt und seinerseits eine Altersgrenze gefordert. So wurde der Gesetzentwurf nun noch einmal an den Bundestagsausschuss "Bildung und Forschung" verwiesen.

Zentrale Erkenntnisse kaum berücksichtigt
Ebenfalls auf Unverständnis stößt die Tatsache, dass sich der Gesetzentwurf bislang kaum auf die Erkenntnisse des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts "Abschlussbezogene Validierung non-formaler und informell erworbener Kompetenzen" (ValiKom) stützt. Gerade dieses soll allerdings helfen, ein Verfahren zu entwickeln und zu erproben, mit dem berufsrelevante Kompetenzen, die außerhalb des formalen Bildungssystems erworben wurden, bewertet und validiert werden können. So hatte der Berufsbildungsbericht 2023 gezeigt, dass in Deutschland 2,6 Millionen Menschen zwischen 20 und 35 Jahren über keinen formalen Berufsabschluss verfügen. Definitiv eine zu hohe Zahl, die auch ValiKom in den Blick nimmt, um Personen, die 25 Jahre oder älter sind, bessere Zukunftsaussichten zu ermöglichen.

"Das Ministerium wäre gut beraten, stärker auf die Fachexpertise des Handwerks zurückzugreifen." Dr. Katharina Gamillscheg, Hauptgeschäftsführerin, Tischler Schreiner Deutschland

Gesetzentwurf noch zu unausgereift
"Vor allem vor dem Hintergrund, dass das­ Handwerk die Hauptlast der dualen Ausbildung trägt, wäre das BMBF gut beraten, stärker auf die Fachexpertise der Handwerksorganisationen zurückzugreifen", erklärt TSD-Hauptgeschäftsführerin Dr. Katharina Gamillscheg. Neben der Einführung einer Altersgrenze von mindestens 25 Jahren muss dabei vor allem sichergestellt sein, dass die Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten des Referenzberufes auch ausreichend geprüft werden. "Bis dies nicht gegeben ist und der Gesetzentwurf nicht eingehend überarbeitet wurde, müssen wir die Einführung der 'Validierung' zum Schutz der dualen Ausbildung in Deutschland ausdrücklich ablehnen", sagt Gamillscheg.

Berlin, 26. April 2024


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